Wenn ‚Hier und Jetzt‘ das neue ‚Bald und Vielleicht‘ ist

Du kennst vielleicht das klassische Bild – Eine schwangere Frau hat mitten in der Nacht plötzlich eine unbändige Lust auf saure eingelegte Gurken. Der Mann ist mal wieder überrannt worden und hat frustriert festgestellt, der Kühlschrank ist leer und die nächste Möglichkeit, an Gurken zu kommen, ist kilometerweit entfernt? Die unerklärlichen und intensiven Gelüste auf bestimmte Lebensmittel, die viele Frauen in der Schwangerschaft überkommen, können einem schon einmal den Schlaf rauben und einen in hilflose Verzweiflung stürzen, wenn sie unerfüllt bleiben. Oder hast Du dich jemals in einer Schlange in der Kälte eingefroren, um das neueste Smartphone zu ergattern, nur um herauszufinden, dass es ausverkauft ist, wenn Du endlich an der Reihe bist?

„Liefer das Gewünschte genau dort, wo es gewünscht wird.“ ist das Mantra des 4. Prinzips von Lean Consumption. Klingt einfach, oder? Aber in der Praxis kann das so kompliziert sein wie die Berechnung der GPS-Koordinaten für ein fliegendes Einhorn. Viele Unternehmen gehen noch immer davon aus, dass Kunden ihre Produkte in einem bestimmten Geschäftsformat erwerben („Geschäftsformat“ bezieht sich auf die spezifische Struktur und Organisation eines Unternehmens, einschließlich seiner Geschäftsprozesse, Produkte/Dienstleistungen, Marketingstrategien und Kundeninteraktionen). Aber das ist so 20. Jahrhundert!

In der modernen Welt der Lean Consumption werden unterschiedliche Formate genutzt, um die Gesamtkosten zu minimieren. Und damit ist nicht nur der Produktpreis gemeint, sondern auch die Zeit und Mühe, die wir aufwenden müssen, um das Produkt zu beschaffen. In dieser Gleichung gilt normalerweise: Wenn die Zeit und der Aufwand abnehmen, steigen die Preise. Aber wer sagt, dass das so sein muss?

Durch einen effizienten Bereitstellungsprozess kann die Bequemlichkeit maximiert und die Preise nahezu einheitlich über alle Formate hinweg gehalten werden. Stellen Dir vor, Du könntest Schokolade in einem Supermarkt, online oder sogar per Drohnenlieferung zum gleichen Preis bekommen.

Es geht darum, effizientere Prozesse zu finden, die das Produkt zum Kunden bringen, anstatt den Kunden zum Produkt zu zwingen. Ein solcher Prozess könnte das Pull-System sein.

Liebe Unternehmen, packt Eure Produkte nicht in starre Formate. Lasst uns stattdessen entscheiden, wie, wo und wann wir Ihre Produkte kaufen möchten.

Liefern oder lassen: Erfolgsgeschichten und Misserfolge

Die schwedische Möbelkette IKEA ist ein großartiges Beispiel für die Anwendung dieses Prinzips. IKEA hat den Prozess des Möbelkaufs revolutioniert, indem es seine Produkte in flachen Verpackungen anbietet, die die Kunden selbst nach Hause transportieren und zusammenbauen können. Das spart nicht nur Kosten für das Unternehmen, sondern ermöglicht es den Kunden auch, ihre neuen Möbel sofort mitzunehmen, anstatt auf eine Lieferung warten zu müssen.

Darüber hinaus hat IKEA in den letzten Jahren sein Online-Angebot erweitert und bietet nun auch die Lieferung nach Hause an. So können die Kunden ihre Möbel genau dort erhalten, wo sie sie haben wollen, egal ob sie lieber im Geschäft einkaufen oder bequem von zu Hause aus bestellen.

Bis vor einigen Jahren hatte die amerikanische Einzelhandelskette „Toys R Us“ Schwierigkeiten, sich an das digitale Zeitalter anzupassen. Während andere Einzelhändler ihre Online-Präsenz stärkten und flexible Lieferoptionen anboten, konzentrierte sich „Toys R Us“ weiterhin hauptsächlich auf seine physischen Geschäfte. Kunden, die online einkaufen wollten, hatten oft Probleme, die gewünschten Artikel zu finden, und die Lieferoptionen waren begrenzt und teuer.

Dieser Mangel an Flexibilität und Anpassung an die Bedürfnisse der Kunden trug zum Niedergang von „Toys R Us“ bei, und das Unternehmen musste 2017 Insolvenz anmelden.

Ein weiterer phänomenaler Fail ist der einst unangefochtene König der Videoverleihbranche Blockbuster. Das Unternehmen scheiterte daran, sich an die sich ändernden Konsumgewohnheiten und technologischen Entwicklungen anzupassen.

Während Unternehmen wie Netflix frühzeitig das Potenzial des Online-Streamings bzw. Lieferung von DVDs als Flatrate erkannten und den Kunden ermöglichten, Filme und Serien genau dann und dort zu sehen, wo sie es wünschten, blieb Blockbuster seinem traditionellen Geschäftsmodell des physischen Videoverleihs treu. Sie setzten darauf, dass Kunden in ihre Geschäfte kommen, um DVDs auszuleihen und diese später wieder zurückzubringen. Dieses Modell war jedoch sowohl für das Unternehmen als auch für die Kunden zeitaufwändig und kostspielig.

Blockbusters Versäumnis, die Vorteile der digitalen Distribution zu nutzen und ihre Dienstleistungen an die Bedürfnisse der Kunden anzupassen, führte schließlich 2010 zum Niedergang des Unternehmens.

Statt also gegen moderne Lieferprozesse zu wettern, sollten sich einige Händler eingestehen, dass Bequemlichkeit und Zeiteffizienz für Kunden durchaus attraktiv sind – auch wenn der Brillenputztuch-Deal des Monats in der Fußgängerzone lockt. Nicht jeder Gang in die Stadt muss sein und nicht jede Dienstleistung erfordert einen persönlichen Einsatz, um wertgeschätzt zu werden.

Natürlich hat nicht jeder immer Lust, für ein paar kleine Einkäufe extra in die Stadt fahren zu müssen. Sich durch den Verkehr zu quälen, einen Parkplatz zu suchen und von Geschäft zu Geschäft zu laufen kostet Zeit und Nerven. Vor allem wenn es dann, wie so oft, doch wieder in die Irre geht und die gesuchte Ware nicht gleich gefunden werden kann. 

Für simple Besorgungen wie eine Packung Batterien oder das Ausleihen eines Films der sehr wahrscheinlich schon vergriffen ist, möchte niemand mehr seine kostbare Freizeit und Ruhe aufgeben.

Weitere Beiträge zum gleichen Thema:

Eine Retrospektiven Idee

Als Scrum Master habe ich schon viele Retrospektiven-Formate ausprobiert – von Mad Sad Glad bis hin zu Sailboat. Manche davon waren super inspirierend, andere… naja, da war noch…

Strategie vs. Planung

In der Geschäftswelt herrscht oft Verwechslung zwischen den Begriffen Strategie und Planung, was zu grundlegenden Fehleinschätzungen führen kann. Viele Unternehmen verwechseln eine Strategie mit einer einfachen Liste von…

Hinterlasse einen Kommentar