Stell dir vor, du bist der Leiter einer Softwareentwicklungsabteilung. Dein Team arbeitet an einem innovativen Projekt mit vielen Unbekannten. Die Meilensteine, die du gesetzt hast, scheinen ständig in Bewegung zu sein, mit unvorhersehbaren Hindernissen, die die Fertigstellungstermine immer wieder nach hinten verschieben.
Statt diese Unvorhersehbarkeiten als Zeichen eines komplexen Kontexts zu erkennen und flexibel zu reagieren, gehst du in den Kontrollmodus über. Du verlangst noch regelmäßigere Statusberichte, versuchst, noch genauere Meilensteine festzulegen und erwartest, dass sich jeder strikt an den Plan hält. Du gehst sogar so weit, ins Micromanagement zu verfallen, indem du jedes Detail überprüfst und versuchst, jeden Aspekt des Projekts zu kontrollieren.
Anstatt zu akzeptieren, dass Scheitern und Unvorhersehbarkeit Teil des Lern- und Entwicklungsprozesses in einem komplexen Kontext sind, führst du einen Null-Fehler-Kurs. Du erlaubst kein Experimentieren, du förderst kein Lernen, du erwartest klare Antworten und Lösungen. Das Ergebnis? Frustration im gesamten Team, ein Stillstand in der Innovation und letztlich das Scheitern des Projekts.
Dieses Negativbeispiel zeigt deutlich, wie entscheidend es ist, den Kontext zu erkennen und den Führungsstil entsprechend anzupassen. Was in einem einfachen oder komplizierten Kontext funktioniert, kann in einem komplexen Kontext zu einem regelrechten Desaster führen
Nachdem wir nun die vier Hauptbereiche des Cynefin-Frameworks durchgearbeitet haben, ist es an der Zeit, die häufigsten Fehler zu besprechen und dir dabei zu helfen, diese zu vermeiden.. Also, hol dir deinen Kaffee, mach’s dir bequem und lass uns diese Hürden ein für alle Mal aus dem Weg räumen!
Einfach: Achtung, Tunnelblick!
Im Einfachen Kontext neigen viele dazu, sich in falscher Sicherheit zu wiegen. Alles läuft ja wie geschmiert, warum was ändern?! Man neigt dazu Dinge zu übervereinfachen, Probleme falsch einzuordnen oder gar selbstgefällig zu werden. Aber Vorsicht! Solche Haltungen können dazu führen, dass du Veränderungen zu spät bemerkst und plötzlich im Chaos landest. Wenn deine Best-Practices anfangen zu stottern, ist es an der Zeit, den Kontext zu überdenken. Auch wenn’s grad rund läuft, bleib wachsam!
Kompliziert: Analyse-Paralyse und Co.
In der komplizierten Welt lauern Gefahren wie die mangelnde Anpassung bewährter Vorgehensweisen, das Ignorieren von Innovationen durch Nicht-Experten und die gefürchtete Analyse-Paralyse, in der man immer weiter analysieren muss weil man einfach keine risikofreie Entscheidung treffen kann. Überwinde diese Fallstricke, indem du jedem die Möglichkeit gibst, sich einzubringen, und indem du verschiedene Arbeitsweisen ausprobierst. Fängst du an, Entscheidungen aufzuschieben oder dich über fehlende Ergebnisse zu ärgern? Werden Termine nicht mehr eingehalten weil ständig was neues passiert was den Plan über den Haufen wirft? Werden immer mehr Statusmeetings einberufen um die Kontrolle zu bewahren? Achtung, es könnte sein, dass du im falschen Kontext bist!
Komplex: Die neue Normalität.
Willkommen in der komplexen Welt, in der die meisten Unternehmen heutzutage operieren, oft ohne es zu wissen. Hier ist der Rückfall in alte Verhaltensmuster wie Command-and-Control oder Überkontrolle ein häufiges Problem. Verspürst du den Drang, sichere Pläne zu bekommen? Könnte sein, dass du im falschen Kontext bist! Warum? Weil man in ungewissen Situation dazu neigt auf „Bewährtes“ zurückzugreifen und sich eine falsche Sicherheit vorzugaukeln. Die Lösung? Fange an zu experimentieren, löse das Expertentum etwas auf (zum Beispiel mit Design Thinking), und erlaube Lernen und Fehler. Passe Deinen Führungsstil entsprechend an. In diesem Gewässer passt der Y-Stil der folgenden Managementtheorie.
Die Theorie X und Y wurde in den 1960er Jahren vom Sozialpsychologen Douglas McGregor entwickelt. Sie beschreibt zwei grundlegend verschiedene Ansätze zur Mitarbeiterführung und -motivation, basierend auf verschiedenen Annahmen über die menschliche Natur.
Theorie X: Die Theorie X geht von einer eher negativen Sichtweise auf den Menschen aus. Sie nimmt an, dass Mitarbeiter von Natur aus faul sind und Arbeit vermeiden wollen. Sie benötigen daher ständige Kontrolle, Anleitung und Disziplin. Führungskräfte, die diese Ansicht teilen, neigen zu einem autoritären Führungsstil und setzen auf Druck, Strafen und Belohnungen, um Leistung zu erzielen. Dies führt wiederum zu wenig Motivation und Engagement der Mitarbeiter, welches diese Theorie dann irgendwie bestätigt. Eine Selbsterfüllende Prophezeiung (Self-fulfilling prophecy).
Theorie Y: Die Theorie Y hingegen geht von einer positiveren Sichtweise aus. Sie nimmt an, dass Mitarbeiter in der Regel selbstmotiviert sind und dass sie Arbeit als etwas Natürliches ansehen, ähnlich wie Spiel oder Ruhe. Sie wollen sich einbringen und haben das Bedürfnis, sich weiterzuentwickeln und Verantwortung zu übernehmen. Führungskräfte, die dieser Theorie folgen, neigen zu einem partizipativen Führungsstil. Sie schaffen eine Umgebung, die persönliches Wachstum, Kreativität und Eigenverantwortung fördert. Dies führt gerade bei Wissenarbeitern zu mehr Motivation und Engagement was diese Theorie auch wieder bestätigt.
Die Theorien X und Y sind aber keine festen Kategorien, sondern eher Endpunkte auf einem Kontinuum. Dies solltest Du unbedingt beachten. Viele Führungskräfte und Organisationen fallen irgendwo dazwischen und können je nach Situation unterschiedliche Ansätze wählen.
Chaos: Kein Ort für eine Dauerausstellung.
Im Chaos lauern Gefahren wie übermäßige Selbstzufriedenheit nach erfolgreicher Krisenbewältigung, zu langsames Reagieren oder die Tendenz, im Chaos-Modus zu verweilen.
Führen im Chaos erfordert eine besondere Mischung aus Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen, die nicht jeder besitzt. Hier sind einige Gründe, warum natürliche, oder „geborene“, Führungskräfte oft besser in der Lage sind, in chaotischen Situationen zu navigieren:
- Instinktive Entscheidungsfindung: In einem chaotischen Kontext müssen oft schnelle und entschlossene Entscheidungen getroffen werden. Geborene Führungskräfte verfügen oft über einen ausgeprägten Instinkt und das Selbstvertrauen, Entscheidungen schnell und effektiv zu treffen.
- Anpassungsfähigkeit: Geborene Führungskräfte können sich häufig besser an neue und unsichere Situationen anpassen. Sie sind bereit, Risiken einzugehen, und sind flexibel in ihrem Denken und Handeln.
- Kommunikationsstärke: Starke Führungskräfte sind effektive Kommunikatoren. Sie können ihre Vision und Strategie klar vermitteln, auch in Zeiten großer Unsicherheit und Chaos.
- Belastbarkeit und Ausdauer: Führen im Chaos kann stressig und ermüdend sein. Geborene Führungskräfte zeigen oft eine bemerkenswerte Belastbarkeit und die Fähigkeit, auch unter Druck einen klaren Kopf zu bewahren.
- Inspirierendes Auftreten: In chaotischen Zeiten suchen die Menschen nach Führung und Inspiration. Natürliche Führungskräfte haben oft die Gabe, andere zu inspirieren und zu motivieren, selbst in den schwierigsten Zeiten.
Das heißt jedoch nicht, dass nur „geborene“ Führungskräfte im Chaos führen können. Viele dieser Fähigkeiten können auch durch Erfahrung, Training und persönliche Entwicklung erlernt und verbessert werden.
Manche Führungskräfte die das Chaos dann gemeistert haben versuchen diesen Zustand so lange wie möglich aufrecht zu erhalten weil sie der Heiland sind. Das Chaos ist aber ein Ort für Sofortmaßnahmen, nicht für Langzeiturlaub! Sobald die chaotischen Bedingungen verschwinden, solltest du es schnell bemerken.
Führung im Komplexen: Ein Beispiel für den richtigen Weg
Stell dir vor, du bist wieder der Leiter derselben Softwareentwicklungsabteilung wie zu Anfang. Dein Team steckt mitten in einem innovativen und herausfordernden Projekt, bei dem die Ziele ständig angepasst und Meilensteine verschoben werden müssen, um unvorhersehbaren Hindernissen zu begegnen.
Dieses Mal erkennst du jedoch den komplexen Kontext, in dem du dich befindest. Anstatt in den Kontrollmodus zu schalten und zu versuchen, jedes Detail zu überwachen, übst du dich in facilitative Leadership. Du schaffst eine Umgebung, die Lernen, Experimentieren und Anpassungsfähigkeit fördert.
Statt penibel festgelegte Meilensteine zu erwarten, setzt du auf iterative Prozesse und akzeptierst, dass Ziele und Meilensteine im Verlauf des Projekts angepasst werden müssen. Du hältst regelmäßige Meetings ab, bei denen du nicht nur Statusberichte einholst, sondern auch Raum für offene Diskussionen und kreative Lösungsansätze schaffst.
Du erkennst, dass Fehler und Misserfolge nicht das Ende bedeuten, sondern vielmehr Chancen für Verbesserung und Wachstum darstellen. Anstatt dein Team unter Druck zu setzen, ermutigst du es, verschiedene Ansätze auszuprobieren und aus jedem Misserfolg zu lernen.
Das Ergebnis? Ein motiviertes, engagiertes Team, das innovative Lösungen entwickelt, ständig lernt und sich anpasst und schließlich ein erfolgreiches, hochwertiges Projekt abliefert.
Dieses Positivbeispiel zeigt, wie eine effektive Führung in einem komplexen Kontext aussehen kann: Flexibel, anpassungsfähig und mit einem starken Fokus auf Lernen und Entwicklung.